Rettung aus Seenot

Abschleppen mit dem Segelboot?
Kann man mit einem Segelboot ein anderes in Seenot befindliche Boot abschleppen?

Anfang Juli 2017 war ich mit meinen Segelschüler Jochen am Chiemsee unterwegs. Wir haben bei einer Dyas die Segel gehisst und sind bei gutem Wind (4-5 Beaufort) raus auf den Chiemsee. Außerhalb des Hafens von Bernau haben wir auch die Fock ausgerollt und sind mit guter Schräglage Richtung Herreninsel gesegelt. Der Wind war böig aus West bis Nordwest. Die Dyas lief hervorragend geradeaus. Wir sind auf Halbwindkurs mehrmals hin und her gesegelt. Dann meinte Jochen, der am Steuer war, wir sollten doch die Fock wieder einrollen.
Der erste Versuch war nicht ganz erfolgreich, da sich eine kleine Tasche oben im Segel gebildet hat. Also haben wir die Dyas sauber in den Wind gestellt und ich habe die Fock eng eingerollt.
Wir sind dann Richtung Prien weiter gesegelt. Durch die hohen Wellen wurde ich als Vorschoter zwischen durch vorgewaschen.

Etwa 1.000 Meter östlich vom Yachtclub bemerkte ich ein Segelboot mit stark gerefften Segeln. Beim zweiten Blick merkte ich, dass die Segel nicht nur gerefft, sondern komplett eingeholt waren.
„Jochen, da müssen wir hinfahren und fragen ob alles in Ordnung ist“meinte ich. Jochen nickte und wir sind zum diesem treibenden Zugvogel gesegelt. An Bord waren zwei junge Frauen. Auf meinen Zuruf, ob alles okay sei, schalte es zurück:“Wir können gar nicht Segeln“.

Ich drehte mich zu Jochen um und meinte, wenn Du möchtest, schleppen wir beide die Damen ab. Jochen nickte erwartungsfroh. Ich meinte nur „ Das wirst Du niemals mehr vergessen – egal was nun passiert“. Nur ich habe noch nie ein Segelboot mit einem anderen Segelboot geschleppt. Letztes Jahr habe ich einmal fünf Zugvögel mit dem Motorboot geschleppt, bis eine Bö zwei davon zum Kentern brachte.

Gekenterte Zugvögel bei Sturm im Chiemsee an der Zugleine vom Motorboot. Foto: Andreas Rossteuscher

Aber mit einem Segelboot ein anderes Segelboot abschleppen?

Dazu findet sich nirgends eine Anleitung. Also habe ich mit Jochen die Plätze getauscht und das Ruder übernommen. Ich bin sehr nah zum Zugvogel gesegelt. Der war mit dem Bug im Wind und ich habe mich mit der Dyas von der Luvseite genähert. „Jochen, wirf bitte die Achterleine rüber“.
Heute weiß ich, dass es noch besser ist auch gegen den Wind zum anderen Segelboot – also querab zu steuern. Allerdings ist dann die Gefahr recht groß, dass das zweite Boot in mein Boot treibt.
Der erste Versuch mißlang. Die Vorschoterin auf dem Zugvogel konnte die Leine nicht fangen.
Also wieder wegfahren, Wenden und wenn beide Boote auf gleicher Höhe sind, der zweite Versuch.
Diesmal konnte die Vorschoterin die Leine fangen, doch Sie konnte keine Knoten. Frauen und Knoten – ein Mysterium trotz „Shades of Grey“.

Also wieder weiter Segeln , nochmals wenden und den dritten Versuch starten….

Skipper bleibt Skipper

Diesmal fing die Dame am Ruder die Leine und machte sehr professionell die Leine am Mast fest.
Von der Dyas kann ich nur zuschauen und musste feststellen, dass sich – da ja niemand mehr am Steuer war – der Zugvogel aus dem Wind dreht und über die Zugleine fährt. Nun sind also beide Boote miteinander verbunden. Nur, wenn ich jetzt los segle, ziehe ich nicht nach vorn, sondern quer zum Boot, was sofort zur Kenterung vom Zugvogel führt. Das Segel der Dyas schlägt im Wind, die Dyas macht ganz kleine Fahrt.
„Bitte die Leine richten“ rufe ich der Skipperin zu. Sie hat die Lager erkannt, zieht die Leine nach vorn und jetzt kann ich also los schleppen.

Wenn ich jetzt die Segel dicht hole, macht die Dyas Fahrt und evtl. reißt es den Holzmasten aus dem Zugvogel – Zugvogel? Ja klar, jetzt weiß ich, warum diese Schiffe so heißen. Also, ganz bedacht langsam Fahrt aufnehmen und schau‘n, ob der Knoten und die Leine halten. Der Knoten hält, die Leine hält, die Skipperin hält Kurs, steuert mir also genau hinterher.

Lustigerweise gibt es beim Abschleppen eine maximale Geschwindigkeit, die sich nach der Länge des geschleppten Bootes richtet. Wenn ich diese Eigengeschwindigkeit überschreite, zieht es den Bug des geschleppten Bootes unter Wasser und es folgt die Kenterung – vornüber. Ebenso ist es sehr gefährlich, wenn der Geschleppte seitwärts steuert und sich dann mit einem Ruck die Zugleine spannt.

Was man in der Aufregung alles vergisst
Das ist wohl typisch. Ich weiß bis heute nicht, wie die beiden Damen heißen, wir haben kein Signal gegeben, dass wir jetzt ein Schleppverband sind, schwer manövrierfähig und somit immer Vorfahrt haben. Wir haben auch nie darüber gesprochen. Wer hat nun die Befehlshoheit? Die Damen haben sich für die Zeit der Rettung einfach untergeordnet – ohne wenn und aber. So was gibt es nur beim Segeln.

Ich habe nur gefragt, wo es hingehen soll: zum Yachtclub. Also aufkreuzen und in den Hafen fahren. Doch kreuzen geht nun gar nicht mehr so einfach. Ich kann die Segel nicht völlig dicht holen, dazu ist der Wind zu stark und die Dyas krängt schon sehr. Und irgendwie treibt es die Dyas viel weiter ab, also ohne Schleppgut.

Die Geduld – beim Segeln unerläßlich
Also einfach mit Geduld weiter segeln. Ich sage meine Wenden an und die Skipperin im Zugvogel lässt sich von der Dyas durch den Wind ziehen. Plötzlich ein Schlag: ein Schäkel am Baum ist aufgegangen. Beim Dyas gibt es wegen der hohen Kräfte zwischen Großschot und Baum zwei Drahtseile, die von der Großschottaille zum Baum laufen. Diese Verbindung hält also den Segeldruck und die Spannung der Großschot. Es ist nichts tragisches passiert. Nur hängt jetzt der Baum nur noch an einem Drahtseil und nicht mehr an zwei. Also Dichtholen geht jetzt auch segeltechnisch nicht mehr.

Bei meinem A-Cat ist mir vor einigen Wochen genau dieses verbindende Drahtseil gerissen. Die Folge war eine Luv-Kenterung bei 5-6 Beaufort und dann
1 ½ Stunden Rückfahrt zum Hafen – am kleinen Schliersee – weil ich ohne feste und belastbare Verbindung zwischen Großschot und Baum kaum Höhe laufen konnte.

Die Damen kriegen von unseren Herausforderungen gar nichts mit. Und nach gefühlten zwanzig oder dreißig Wenden fahren wir – ein wenig stolz – in den Hafen des Yachtclubs. Geschafft!
Die Damen möchten uns unbedingt zu einem Kaffee einladen, aber irgendwie passt das gerade nicht. Also binden die Damen die Leine vom Mast los und paddeln den Rest zum Liegeplatz.

Es geht gleich weiter

Ich frage Jochen, ob er wieder das Ruder übernehmen will? „Natürlich“. Also folgt der Rudergängerwechsel. Die Dyas steht im Wind – ohne Fahrt im Hafenbecken. Die Böen zischen mit 4-5 Beaufort über unsere Köpfe. Wenn Jochen jetzt die Segel dicht holt und zu früh die Pinne bedient – also wenn noch kaum Strömung am Ruderblatt anliegt – fahren bzw. treiben wir mit Sicherheit ins nächste Schiff. Mit viel Fingerspitzengefühl fällt Jochen genau im richtigen Moment ab. Ich hole die Gr0ßschot ein wenig dichter und wir segeln sehr zufrieden wieder aus dem Hafen vom Yachtclub.

Fazit:
Mit einem Segelschiff, kann man andere Boote abschleppen. Das Anhängen (Knoten) muss schnell gehen und dann das Schleppen mit viel Fingerspitzengefühl erfolgen. Wenn der Geschleppte falsch steuert, kann es leicht zur Kenterung kommen. Durch das „Schleppgut“ schlingert das ziehende Boot und kann so weniger Höhe laufen. Bei so einem Manöver braucht man Mut, ein Team, dass auf einen Kapitän hört – bei den Manövern, beim Steuern und auch sonst.

Ein Kommentar zu Rettung aus Seenot

  • Andreas Rossteuscher  sagt:

    Heute weiß ich, dass man mit dem Segelboot längsseits zum 2. Boot hinfährt.
    Ganz korrekt ist es, mit den Havarierten Sprechkontakt aufzunehmen und dann in Sichtweite zubleiben und professionelle Hilfe anzufordern.

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